VERANSTALTUNG
Literatur
In der Werkstatt: Kurt Drawert
Werkvorstellung
Kurt Drawert
© Ute Döring
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In der Werkstatt: Kurt Drawert
Kurt Drawert und Martin Hielscher im Gespräch

03.12.2023 | 17 Uhr

Werkvorstellung

Kurt Drawert ist der zweite Autor in unserer neuen Reihe, in der wir Autoren und ihrem Lebenswerk in einer Gesprächssituation begegnen. Drawerts Leben beginnt 1956 in Hennigsdorf in der DDR, als Sohn eines Kriminalbeamten.


Gleich nach der Wende schrieb er seinen Roman Spiegelland, der 1992 bei Suhrkamp erschien (neu erschienen bei C.H. Beck Verlag 2020). In ihm begegnen wir einem Kind, das kaum, dass es sprechen gelernt hat, wahrnimmt, dass die Sprache, die es als die Sprache des übermächtigen Vaters, des Kriminalisten, wahrnimmt, nicht sagt, was ist, dass stattdessen, wie das Kind entsetzt wahrnimmt, jeder Satz in der Vatersprache eine Lüge ist, die behauptet, die Wahrheit zu sein, während sie wahre Sätze, die sagen, was ist, als Lügen bezeichnet. Das verstörte Kind verstummt.

Ein Blick auf das Werk des Autors in seiner Vielfalt und Vielschichtigkeit zeigt, dass dieses in Spiegelland ergreifend erzählte kindliche Schlüsselerlebnis eine ungeheure innere Gegenbewegung ausgelöst hat, eine furiose Bewegung in Sprache hinein, aus einem Druck des Sprechen Müssens heraus: Nur indem wir wahre Sätze finden, können wir die Lüge sichtbar machen, können wir ausbrechen aus  einer Welt, die Lüge ist. In jedem Wort geht es um Alles. Alles muss neu gesagt werden. Ins Offene, immer wieder neu…


Gesprächspartner des Autors ist sein langjähriger Lektor, Martin Hielscher: Jahrgang 1957. Er ist Lektor, Autor, Kritiker, Übersetzer und Honorarprofessor an der Universität Bamberg.
 
Werkauswahl:
Spiegelland. Ein deutscher Monolog. Roman, Suhrkamp 1992 und 2020 C.H. Beck; Rückseiten der Herrlichkeit. Essays, Suhrkamp 2001; Frühjahrskollektion. Gedichte, Suhrkamp 2002; Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte. Roman C.H. Beck 2008; Schreiben. Vom Leben der Texte. Monographie, C.H. Beck 2012; Dresden. Die zweite Zeit. Prosa, C.H. Beck 2020

Zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Zuletzt Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis (2020), Walter-Kempowski-Preis für biografische Literatur (2021), sowie der Italo-Svevo-Preis für Prosa und Essayistik (2023).

2004 war Kurt Drawert Stipendiat im Herrenhaus und 2005 Leiter der ersten Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung im Herrenhaus Edenkoben.
 
…doch, es muss auch eine Hinterlassenschaft geben,
die die Geschichte,
auf die ich selbst einmal, denn das Vergessen
wird über die Erinnerung herrschen,
zurückgreifen kann wie auf eine Sammlung
fotografierten Empfindens, und die Geschichte,
denn das innere Land
wird eine verfallene Burg sein
und keinen Namen mehr haben und betreten sein
von dir als einem Fremden
mit anderer Sprache, erklärt.
 
Wir hatten die Werkstattgespräche im März dieses Jahres mit Reinhard Kaiser-Mühlecker begonnen, einem Autor, dessen Leben und Schreiben wesentlich geprägt ist durch seine von Kindheit gemachten Erfahrungen als Sohn eines Landwirts in einem kleinen Ort in Niederösterreich und die stets gegenwärtige über mehrere Generationen beschwiegene Familiengeschichte mit ihren dem Kind und Jugendlichen spürbaren, aber nicht fassbaren beklemmenden Abgründen. Sein Lebenswerk, könnte man sagen, ist ein Eintauchen in dieses tiefe Schweigen, in die Abgründe, aus denen es heraufquillt in die Gegenwart, in der das Leben als Landwirt an neuen Abgründen entlang gelebt werden muss.
 
Von Reinhard Kaiser-Mühlecker aus spannen wir also zu unserem zweiten Gespräch mit Kurt Drawert einen weiten Bogen. Wir dürfen wirklich gespannt sein!